Karola Kraus
Laudatio auf Heimo Zobernig aus Anlass der Verleihung des Roswitha-Haftmann-Preises 2016 am 12. Mai 2016 im Kunsthaus Zürich
Lieber Christoph Becker,
liebe Mitglieder des Stiftungsrates,
lieber Heimo, liebe Michaela, lieber Viktor Zobernig,
liebe Festgäste,
es ist für mich eine große Ehre, heute die Laudatio für die Verleihung des Roswitha-Haftmann-Preises 2016 halten zu dürfen.
Wie wir bereits gehört haben: Die Roswitha Haftmann-Stiftung verleiht ihren Preis bereits seit 2001 an eine lebende Künstlerin oder einen lebenden Künstler, deren Werk von überragender Bedeutung ist und gehört zu den wichtigsten und höchst dotierten internationalen Auszeichnungen im Bereich der bildenden Kunst. Die Liste der PreisträgerInnen und Preisträger ist eindrucksvoll und liest sich wie ein who is who der Kunstgeschichte: Carl Andre, Fischli & Weiss, Maria Lassnig, Walter de Maria, Cindy Sherman, Rosemarie Trockel, Jeff Wall oder Lawrence Weiner, um nur einige Namen zu nennen. Umso mehr freue ich mich, dass Heimo Zobernig für sein konsequentes, facettenreiches Schaffen und sein stringentes Gesamtwerk mit diesem würdevollen Preis ausgezeichnet wird.
1958 in Mauthen, Österreich geboren, studierte er von 1977 bis 1980 an der Akademie der bildenden Künste und von 1980 bis 1983 an der Hochschule für angewandte Kunst Wien. Sein künstlerisches Oeuvre ist vielschichtig und umspannt neben Malerei, Skulptur, Rauminstallation, Video, Performance auch das Verfassen von Texten und Gestalten von Publikationen. Als Künstler prägt er maßgeblich den internationalen zeitgenössischen Kunst- und Ausstellungsdiskurs, als Theoretiker und Lehrer hat er den Ruf eines scharfsinnigen Kommentators des heutigen Kunstbetriebs. Nach seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und der Städelschule in Frankfurt hat er seit 2000 die Professur für Textuelle Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste Wien inne.
Ein wesentlicher Aspekt seines künstlerischen Schaffens, die Nähe zum Theater – vielleicht könnte man auch sagen zum Theatralischen –, ist bereits in seiner Ausbildung begründet. An der Akademie der bildenden Künste Wien studierte er nicht etwa in der Klasse für Malerei und Grafik (für die er abgelehnt worden war), sondern in der Klasse für Bühnenbild. Schon früh bewegte er sich zwischen Bildender Kunst und Theater, testete Bühnensituationen, schuf mit seinen frühen Pappskulpturen, die sich formal an die amerikanische Minimal Art anlehnen, modellähnliche Objekte und widmete den ausstellungs- oder aufführungsspezifischen Elementen wie Podest, Bühne, Stellwand oder Rahmen verstärkte Aufmerksamkeit.
Ich freue mich persönlich ganz besonders über die Auszeichnung für Heimo Zobernig, denn ich kenne den Künstler und seine Arbeit seit vielen Jahren und habe mit großem Interesse und Spannung seine Entwicklung verfolgt.
Zum ersten Mal begegnete ich seinem Werk in den späten 1980er-Jahren. Ich war beeindruckt von seiner nüchternen Formensprache, die sich in ihrer Klarheit und Funktionalität deutlich von der opulenten und figürlichen Malerei dieser Jahre abhob. Im Gegensatz zu dieser mythisch oftmals stark aufgeladenen Kunst orientierte Zobernig sich an den Traditionslinien der künstlerischen Avantgarde, beschäftigte sich mit abstrakten Bewegungen wie den russischen Konstruktivisten, der niederländischen De Stijl-Bewegung oder den Zürcher Konkreten zu Beginn des 20. Jahrhunderts genauso mit wie mit der amerikanischen Minimal Art der 1960er-Jahre.
Die erste Ausstellung habe ich 1989 in der Galerie Christoph Dürr in München gesehen. Er zeigte dort acht einfache orangefarbene Boxen, auf welche die Zahlen 1 – 28 in nicht synchronisierter Abfolge projiziert wurden. Charakteristisch für dieses Frühwerk ist die minimalistische Formensprache wie auch die Beschäftigung mit dem Verhältnis zwischen Bildinhalt und Bildträger. Durch den ständigen und keiner sichtbaren Systematik folgenden Wechsel der projizierten Zahlen wird die subjektive Handschrift des Künstlers weitgehend eliminiert. Zugleich kommt hier bereits der Aspekt der zeitbasierten Aufführung zum Tragen, die kennzeichnend für Zobernigs Werk ist. Zugegebenermaßen ließ mich diese Installation damals einigermaßen ratlos zurück und zugleich war ich von ihrer Radikalität beeindruckt.
Ein Jahr später sah ich die für mich ausschlaggebende Ausstellung bei Achim Kubinski in Köln. Zu dieser Zeit begann ich, mich verstärkt mit der Minimal Art auseinander zu setzen. Die in der Galerie ausgestellten, mit Kunstharzfarbe angestrichenen Pappskulpturen erschienen mir – gerade aufgrund ihrer einfachen Machart und angedeuteten Unvollkommenheit – als eine spannende Weiterführung der Formensprache der amerikanischen Minimal Art. Anders als deren Protagonisten, die mit zwar industriell gefertigten, doch sehr hochwertigen Materialien arbeiteten, entschied sich Zobernig bei seinen frühen Skulpturen bewusst für das einfache und nicht sonderlich stabile Material Pappe. So ähneln die mit Kunstharz bemalten Objekte zwar formal den Werken von Donald Judd oder Frank Stella. Indem Zobernig jedoch die Haptik der unterschiedlichen Papparten oder Spuren der Fertigung sichtbar lässt, unterläuft er die kühle Perfektion der amerikanischen Minimalisten. Ich war von der Vehemenz dieser Ausdrucksform so begeistert, dass ich Zobernig 1991 für die Eröffnungsausstellung im Kunstraum Daxer in München einlud, dessen Leitung ich kurz davor übernommen hatte.
Heimo Zobernig kleidete die Wände des Ausstellungsraums mit weißen Papierbahnen aus, sodass die Architekturelemente wie die Arkadenfensterfont oder die Balustrade unter der vereinheitlichenden Oberfläche verschwanden. Die neoklassiszistische Raumarchitektur des Kunstraums wurde zu einem weißen Kubus reduziert, der die Aufmerksamkeit des Eintretenden auf den Raum und dessen skulpturale Qualitäten lenkte. Auf sich selbst und seine Wahrnehmung zurückgeworfen, vollzog der Besucher einen Wandel: aus dem passiven und vermeintlich körperlosen Betrachter wurde gleich einem Bühnendarsteller ein Akteur, der sich im Raum positionieren musste, ebenso wie der Inhalt zugunsten des Kontextes völlig verschwand. Mit diesem ortsspezifischen Eingriff reihte sich Zobernig nicht nur in die Tradition des institutionskritischen Umgangs mit dem klassischen white cube oder des leeren Ausstellungsraums ein (man denke an Yves Klein), sondern bewies bereits damals sein inszenatorisches Gespür für Räume; ein Anliegen, das ihn seitdem immer wieder beschäftigt und um Fragen wie Reduktion und Vereinfachung im Sinne von Verbesserung kreist.
Bevor ich mich seinen neuesten Arbeiten zuwende, möchte ich noch auf zwei wichtige Aspekte in seinem Schaffen eingehen, den der Sprachkritik und sein Umgang mit Malerei.
Die Beschäftigung mit kontext-konstituierenden Bedingungen ist bei Zobernig nie reiner Selbstzweck, vielmehr dreht sich seine Arbeit immer wieder um die Frage, wie Illusion erzeugt und Wissen bzw. Inhalte vermittelt werden.
Dies wird in seinen Projekten deutlich, welche die übliche Grenze einer Ausstellung häufig überschreiten. Eine einfache Präsentation von ausgewählten Werken ist bei Zobernig kaum denkbar. Stattdessen untersucht er die Rahmenbedingungen und möglichen Kommunikationsformen einer solchen Präsentation und thematisiert diese.
Eine grundlegende Skepsis gegenüber jeder Form der Illusionserzeugung und Wissensvermittlung wird auch in den Arbeiten deutlich, die das Kommunikationssystem der geschriebenen Sprache verwenden, wie zum Beispiel in den Schriftbildern oder in seinen lexikalischen Projekten wie die Enzyklopädien oder Farblehren, die in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Ferdinand Schmatz entstanden sind. Diese wie Ordnungssysteme oder Nachschlagewerke angelegten Publikationen sind nach zumeist subjektiven Kriterien angeordnet und hinterfragen so kritisch jeden enzyklopädischen Anspruch auf Vollständigkeit.
Ein frühes Projekt zeigt diesen konzeptuellen Ansatz. 1990 beginnt Zobernig, seine Ausstellungen durchzubuchstabieren oder genauer gesagt von A bis Z durchzualphabetisieren. Dieses Projekt endet 1992 mit seiner Ausstellungsbeteiligung bei der 9. documenta in Kassel. Sein Beitrag, eine einfache Bühnenkonstruktion mit einer Rückwand, auf der in seiner präferierten Schrift Helvetica „DOCUMENTA 9“ stand, hinterfrägt wiederum das Wesen der Kunst. Autonomie und Anwendbarkeit der Kunstwerke standen sich gegenüber, ohne sich zu widersprechen. Unübersehbar auch hier die sprachkritische Herangehensweise Zobernigs.
2005 präsentierte ich im Kunstverein Braunschweig eine Ausstellung von Heimo Zobernig. Auch hier griff er radikal in die Räumlichkeiten des klassizistischen Gebäudes ein, indem er seine Bilder ohne Rücksicht auf die klassischen Hängeregeln an den Wänden und über Tür- und Fensteröffnungen anordnete. Einige Arbeiten schienen in ihrer Dimension den Maßstab des jeweiligen Raumes zu missachten und diesen zu sprengen. Neben einer Serie von Rasterbildern, die sich mit dem Erbe von Piet Mondrian und Ian Burn auseinandersetzten, präsentierte er dort drei großformatige mit Swarovski-Steinen beklebte Gemälde. Hier wird das nüchterne, monochrome Bild im für Zobernig üblichen quadratischen Format, Ausdruck von Norm und Reduktion, durch einen ungewöhnlichen Aspekt erweitert, der nichtsdestotrotz charakteristisch für ihn ist: der des Theatralischen. Je nach Lichteinfall und Perspektive des Betrachters entfalten diese Bilder eine unterschiedliche Wirkung und ähneln so einer Skulptur, zu deren Wesen es gehört, sie zu umrunden und in unterschiedlichen Ansichten zu erfassen. Dadurch ist der Betrachter herausgefordert – ähnlich wie es im weißen Kubus im Kunstraum Daxer der Fall war – sich zu der Arbeit zu positionieren und die Bezüge selbst herzustellen. Interessanterweise ist man hier wieder bei der Minimal Art, denkt man an die Ausführungen ihrer Verfechter wie Kritiker. Robert Morris etwa spricht in seinen „Notes on sculpture“ von 1966/67 davon, wie „[d]ie besseren neuen Arbeiten die Beziehungen aus der Arbeit heraus [nehmen] und sie zu einer Funktion von Raum, Licht und Gesichtsfeld des Betrachters [machen].“ Man sei „sich stärker als früher dessen bewusst, daß man selber die Beziehungen herstellt, indem man das Objekt aus verschiedenen Positionen, unter wechselnden Lichtbedingungen und in unterschiedlichen räumlichen Zusammenhängen erfasst.“ (1) Michael Fried, bekanntermaßen Verfechter eines modernistischen Kunstverständnisses und der Minimal Art gegenüber kritisch eingestellt, stellt in seinem Text „Art and objecthood“ von 1967 ebenfalls eine neue Betonung des umgebenden Raums und der jeweiligen Situation fest, verurteilt diese „Theatralität“, wie er es nennt, jedoch scharf. Man könnte sagen, dass sich Zobernig diesen „theatralischen Effekt“ und diese „Bühnenpräsenz“, die bei den amerikanischen Minimalisten so kritisiert wurde, bewusst zu eigen macht und in seinen Bildern wie Rauminstallationen stets aufs Neue herausfordert.“ (2) Der Aspekt der Zeit, der für das Medium Performance oder Video Art so selbstverständlich ist, nimmt gerade bei seinen statischen Objekten einen bemerkenswert großen Stellenwert ein.
An dieser Stelle möchte ich seine Videoarbeiten erwähnen, die umgekehrt das zeitliche Prinzip durch repetitive Handlungen ad absurdum führen. So erzeugen die perpetuiert ausgeführten Bewegungen und Handlungen in den Videos Nr. 1, 4, 5 und 6 eher einen Zustand denn eine fortlaufende Handlung. Im ersten Video sieht man Heimo Zobernig mit blonder Langhaarperücke sechs Minuten lang Luftpolsterfolie zerdrücken, im zweiten gibt er einfache Bewegungen vor, die sein Sitznachbar Muki Pakesch nachahmen muss, im Video Nr. 5 wiederholt Zobernig die immer gleichen Bewegungen eines Scharfschützen (Gewehr laden und abdrücken), begleitet von Schussgeräuschen. Diese „Zustandserzeugungen“ gipfeln im Video Nr. 6, in dem er nahezu unbewegt 30 Minuten in die Kamera blickt.
Zum Abschluss möchte ich mich noch einmal Zobernigs Raumeingriffen widmen. Als ich 2010 meine Stelle als Direktorin im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien antrat, habe ich mich sehr gefreut, dass ich nicht nur auf meine persönliche Zusammenarbeit mit Zobernig zurückgreifen konnte, sondern auch auf die des Hauses. So war der für Besucherinnen und Besucher so augenfällige weiße Kubus bereits seit 2002 fester Bestandteil der Museumsarchitektur.
Auf meine Einladung kam es mit der Umgestaltung des Untergeschosses zu einer erneuten Zusammenarbeit mit Heimo Zobernig. Das von ihm zusammen mit dem Architekten Michael Wallraff neu gestaltete mumok kino dient als Kinoraum, in dem wöchentlich kuratierte Filmprogramme gezeigt werden, und gleichzeitig wird es auch für Tanz-, Musik- und Performanceveranstaltungen sowie als Vortragsraum genutzt. Während dieser Gebäudeteil im Untergeschoss nicht auf den ersten Blick sichtbar wird, kann man sich dem weißen Kubus, der in der Eingangshalle des mumok die beiden Gebäudeteile auf einem Geschoss miteinander verbindet, kaum entziehen. Die denkbar einfachste architektonische Form, der weiße Kubus, war eine bauliche Maßnahme, die dem Wunsch meines Vorgängers Edelbert Köb nach einer durchgehenden Fläche für Sonderausstellungen nachkam. Mit einer verblüffenden Konsequenz schuf Heimo Zobernig einen hochkomplexen wie einfachen Raumeingriff, dem es gelingt über seine Funktion hinaus – die einer Brücke – eine eigenständige skulpturale Situation zu schaffen. Die besondere Position zwischen Eingang und Dach innerhalb dieser mit dunklem Lavastein verkleideten Architektur sorgt dafür, dass der Raum von außen als kompakter Körper wahrgenommen wird, wie es sonst nur selten der Fall ist. Damit leistet er einen brillanten Kommentar zur kunsttheoretischen Debatte um den white cube, zu dessen Eigenschaften es in der Tradition des modernistischen Kunstdiskurses gehört, der Kunst gegenüber in den Hintergrund zu treten und möglichst nicht aufzufallen; Eigenschaften, die sein weißer Kubus an keiner Stelle erfüllt. Wie bereits bei dem weißen Kubus im Kunstraum Daxer in München gelingt es Zobernig, Architektur körperlich erfahrbar zu machen. War es in München vor allem die Fortbewegung des Besuchers, welcher diese Erfahrung ausmachte, ist es in Wien die ungewöhnliche Außenperspektive, die eintretende Besucher gegenüber diesem Kubus einnehmen.
In diesem Zusammenhang sehe ich auch seine aufsehenerregende Ausstellungs- und Projektreihe Venedig – Bregenz – Köln, welche die skulpturale Eigenständigkeit von Architektur thematisiert und die Selbstverständlichkeit von Raumeindrücken hinterfragt.
Im österreichischen Pavillon der letztjährigen Biennale Venedig nahm er diverse bauliche „Korrekturen“ vor, welche die Stildiskrepanzen des sich zwischen Historismus und der Moderne befindlichen Gebäudes von Josef Hoffman ausglichen. Das Absenken der Decke, das Anheben des Bodens, die Wahl der Farbe schwarz und der reduzierte Lichteinfall machten aus dem Inneren des Repräsentationsbaus einen schwarzen Kubus, eine black box, die alle architektonischen Unebenheiten oder allzu charakteristischen Details wie die neuklassizistischen Rundbögen zum Verschwinden brachte. Das Ergebnis war ein schlichter Raum von sakraler Ruhe, der den Eintretenden und Umherwandelnden dadurch mehr Gewicht und eine beinahe bühnenhafte Präsenz verlieh. Dass der suchende Blick der Besucher nicht nur leere Wände fand, sondern in Richtung des begrünten und eigens gestalteten Innenhofs, des Patios, gelenkt wurde, beweist einmal mehr das inszenatorische Feingefühl Zobernigs. Das Raumgefüge, bei dem Innen- und Außenraum fließend ineinander übergehen, erinnert an Klassiker der Architekturgeschichte wie den berühmten Barcelona-Pavillon oder die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe. Auch die ursprünglich für den Pavillon vorgesehene überlebensgroße Figur – eine Art Schmerzensmann, zusammengesetzt aus Bronzeabgüssen dreier Skulpturen von Zobernig – legt einen Vergleich mit diesen architekturhistorischen Vorbildern nahe. Die Kombination von pavillonartiger Architektur, gestaltetem Außenbereich und figurativer Plastik kommt bei Mies van der Rohe und seinen Zeitgenossen immer wieder vor. (3) Sie scheint einem ähnlichen Verständnis wie dem Zobernigs zu entspringen, Raum als ein offenes Konstrukt zu begreifen, in dem sich Körper zueinander positionieren und wechselseitig beeinflussen.
Die lediglich im Katalog abgebildete Bronzeplastik war im gleichen Jahr in der Ausstellung im Kunsthaus Bregenz zu sehen, wo die voluminöse Decke in exakt den gleichen Abmessungen wieder auftauchte. Diese „Reinszenierungen“ sind ein wunderbares Beispiel fürs Zobernigs offenen Umgang mit der (oftmals überstrapazierten) Ortsspezifik. Mit der erneuten Verwendung des ursprünglich auf eine konkrete Architektur abgestimmten Einbaus führt er zum einen die Bindung an nur einen Ort ad absurdum. Auf der anderen Seite musste für den Einbau die Deckenverglasung im dritten Obergeschoss des Kunsthauses entfernt werden, so dass die üblicherweise gut versteckte Technik sichtbar und eben dadurch ein neuer Ortsbezug geschaffen wurde.
Ein weiteres Mal wurde das Deckenvolumen in diesem Jahr im Museum Ludwig in Köln in Anspruch genommen, diesmal als eine durch die Ausstellung mäandernde Sockelkonstruktion, die ausgewählten Skulpturen einen herausragenden Platz einräumt, in ihrer Massigkeit jedoch die Besucher in ihrer Bewegungsfreiheit stark einschränkt. Die von Zobernig ausgewählten Skulpturen aus der Sammlung des Museum Ludwig, die in keinem sichtbaren Zusammenhang zueinander stehen, lassen sich aufgrund des dominanten Sockels weniger bequem betrachten als dies üblicherweise der Fall ist. Weder erlauben die engen Räume den nötigen Abstand zu den Objekten, noch kann man sich ihnen von verschiedenen Seiten nähern und neue Perspektiven einnehmen. Zudem reflektiert die schwarz lackierte Oberfläche und beeinträchtigt so die Wahrnehmung. Eben diese Sperrigkeit und lapidare Setzung erzeugt eine beindruckende Bewusstwerdung. Der Blick wird nicht wie bei einem konventionellen Ausstellungsdisplay ausschließlich auf die Skulptur gelenkt. Auch die Ausstellungsarchitektur, die zumeist als selbstverständlich hingenommen wird, tritt in den Fokus. Nicht zuletzt erfahren wir als Besucher unsere eigene Körperlichkeit – diesmal nicht als ein Individualtourist auf offener Bühne, wie es in Venedig der Fall war, sondern als ein in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränktes Individuum, das sich den räumlichen Gegebenheiten anpassen muss.
Mir ist kein anderer Künstler bekannt, dem es wie Heimo Zobernig gelingt, die Sachverhalte zwischen Skulptur und Architektur, statischem Objekt und Aufführung, autonomer Kunst und Offenlegung ihrer Ausstellungsbedingungen und Abhängigkeiten so zu thematisieren und gleichzeitig aufzulösen. Zobernig liefert damit einen radikalen und logischen Beitrag zur Kunst des 21. Jahrhunderts.
Lieber Heimo, ich gratuliere dir von ganzem Herzen zu diesem Preis, du hast ihn mehr als verdient.
Ich möchte mich sehr herzlich bei Christoph Becker und seinem Team, allen voran bei Christa Meienberg, für die wertvolle Zusammenarbeit bedanken. Meine Tätigkeit im Stiftungsrat bereitet mir großes Vergnügen. Auch meinen Kolleginnen und Kollegen des Stiftungsrates möchte meinen Dank aussprechen. Und besonders danke ich Roswitha Haftmann, die dies alles ermöglichte!
Anmerkungen
(1) Zu deutsch „Anmerkungen über Skulptur“, abgedruckt in der von Gregor Stemmrich herausgegebenen Anthologie Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden 1998, S. 92–120, hier S. 105.
(2) Zum Verhältnis von Heimo Zobernig zur amerikanischen Minimal Art: Christina Korzen: „Bar- und Bühnenbetrieb. Heimo Zobernig im Kunstraum Grässlin“, in: Heimo Zobernig. Kunstraum Grässlin, St. Georgen 2006, ohne Seite.
(3) Aus der adaptierten Fassung eines Vortrages von Manuela Ammer über Heimo Zobernig im Museum Ludwig Köln am 15. März 2016, ohne Seite.
|