
Zarina Bhimji
Laudatio auf Zarina Bhimji anlässlich der Verleihung des Roswitha-Haftmann-Preises am 29. November 2024 im Kunsthaus Zürich
Prof. Thomas Wagner | Es gilt das gesprochene Wort.
Dear Zarina Bhimji, sehr verehrte Gäste,
es ist mir eine große Ehre und ein noch größeres Vergnügen, heute hier einige Worte über die Arbeiten von Zarina Bhimji sagen zu dürfen. Dabei muss ich mich dafür entschuldigen, nur einige wenige Aspekte ihrer so wunderbar vielschichtigen Arbeiten ansprechen zu können. Ich vertraue darauf, dass einiges, was ich nur antippen kann, in Ihnen fortwirkt - und Sie dazu anregt, sich in die Filme zu vertiefen, die aus Anlass der Preisverleihung, durch das Entgegenkommen der Künstlerin und durch das Engagement der Roswitha-Haftmann-Stiftung hier im Kunsthaus gezeigt werden können.
"In der Zeit des Verrats sind die Landschaften schön". So lautet die letzte Zeile eines Gedichts, das der auf der Mauer zwischen den Systemen in Ost und West balancierende Schriftsteller und Dramatiker Heiner Müller in den 1960er Jahren verfasst hat. (Es geht, das nur nebenbei, um Jamaika im Jahr 1799, um den Export einer Revolution und ihr Scheitern.)
"In der Zeit des Verrats sind die Landschaften schön." Schön, fast erhaben, erscheint auch die Landschaft, die zu Beginn von Zarina Bhimji's Film "Out of the Blue" auftaucht, der 2002 auf der von Okwui Enwezor kuratierten Documenta 11 in Kassel zu sehen war und die Künstlerin einem größeren Publikum bekannt gemacht hat.
In einer meditativ wirkenden Einstellung schwenkt die Kamera über bewaldete, sanft in ein Nebelmeer gehüllte Hügel. Insekten summen, ein Instrument murmelt, man hört Frauenstimmen. Schüsse fallen. Feuer knistert. Der Nebel erweist sich als Rauch, die Savanne brennt. Aus Blau ist mit einem Mal Rot geworden. Aus der gerade noch friedlich wirkenden Landschaft erhebt sich die Erinnerung an traumatische Ereignisse. Nach und nach tauchen Gebäude auf, die wie alte Militärkasernen aussehen. Der Blick fällt in verlassene Räume, in ehemalige Gefängniszellen. Gewehre stehen aufgereiht an der Wand. Hinterlassene Zeichen, die von Gewalt und Gefangenschaft zeugen. Gegen Ende des Films ist ein Flughafen zu sehen, dessen verfallener Tower das Schild "Entebbe, 3789 ft" trägt. Es ist der Flughafen, von dem aus viele Asiaten (und später auch Bhimji's Familie) während der Vertreibung aus Uganda abgeflogen sind.
"Ursprünglich", so die Künstlerin, "begann die Recherche damit, dass ich die grundlegende Geschichte der Geschehnisse in Uganda verstehen wollte, aber dann wollte ich verstehen, was das Wort "Asyl" oder das Wort "staatenlos" aus einer politischen und persönlichen Perspektive bedeutet. Daraus entwickelte ich eine Idee, wie ich dieses Gefühl kommunizieren könnte, und wie ich es durch Klang vergrößern und einen Rhythmus daraus machen könnte."
Der Film entfaltet Schicht um Schicht. Die Landschaft, das Licht, die Farben, die Klänge, die Orte, die Räume und die langsame, fast bedächtige Bewegung des Kamerablicks - all das sorgt dafür, dass sich, wer den Film betrachtet, in eine atmosphärisch sehr konkrete Situation einbezogen fühlt. Oft kommt es einem so vor, als ertaste die Kamera die Szenen wie ein Blinder, halte sie zwischen Erinnern und Erleben in der Schwebe. Jenseits dokumentarischer Akribie entsteht so eine Bildmagie, die schnelle Urteile unmöglich macht und ein Nachdenken anstößt - über die bedrückende Realität von Orten, über Klänge, Gewalt, namenlose Schicksale, ausgelöschte Leben.
Auch diese Landschaft ist schön. Auch in ihr wohnt der Verrat. Macht und Ohnmacht, Gewalt und Verlust haben sie deformiert. Aber auch die Widerständigkeit zärtlichen Erinnerns und die zähe und belebende Hoffnung hat sich in ihr Bild gerettet, so zerbrechlich sie sein mögen.
Zarina Bhimji wurde 1963 in Mbarara, Uganda, als Tochter indisch-stämmiger Einwanderer geboren. Nach der Vertreibung durch Idi Amin musste sie 1974 mit ihrer Familie nach Großbritannien emigrieren. Von 1983 bis 1986 studierte sie am Londoner Goldsmiths College und von 1988 bis 1989 an der Slade School of Fine Art. Ihr Werk umfasst Filme, Fotografien, Collagen und Installationen. In ihren Filmen hat sie eine eigene, unverwechselbare Bildsprache entwickelt. Eine Ästhetik, die im Wortsinn Wahrnehmung und Schönheit verbindet und verdichtet, eine Ästhetik, die es möglich macht, schmerzhafte und ohnmächtige Erfahrungen von Gewalt, Vertreibung und Exil, von alltäglicher Ausgrenzung und verweigertem Respekt nicht nur für Auge und Verstand erkennbar, sondern körperlich und emotional erfahrbar zu machen.
"In meiner Arbeit geht es nicht um die eigentlichen Fakten, sondern um das Echo, das sie erzeugen, die Zeichen, die Gesten und den Klang. Das ist es, was mich reizt", hat Zarina Bhimji selbst festgestellt.
Die Zeit, dieses "doppelköpfige Ungeheuer der Verdammung und Erlösung", wie Samuel Beckett sie genannt hat, erscheint in Bhimji's Filmen niemals abstrakt. Die natürliche Zeit, markiert durch den Lauf der Sonne, und die künstliche Zeit der Geschichte, sind ineinander verwoben, verstrickt, verhakt, verkeilt.
"Blind Spot" lautet der Titel ihres jüngsten Films von 2023. "Blind Spot", das ist ein toter Winkel, ein blinder Fleck, ein Schwachpunkt.
Die Backsteinfassade eines Hauses in Untersicht, eine Baumkrone, dazwischen ein Stück Himmel. Ein Haus wie eine Wunde, heillos zwischen Abbruch und Wiederaufbau. Der Kamin ist herausgebrochen, das Feuer lange schon erloschen. Pläne sind auf nackte Wände gezeichnet. Eine elegisch klingende Männerstimme aus dem Off spricht über ein Mädchen - Amina -, über deren Leben verfügt wird. Die Stimme mischt sich mit Geräuschen und Klängen. Jedes Bild, jedes Wort, jedes Geräusch, jeder Ton ist Teil eines dichten Geflechts. Licht und Schatten tanzen auf Wand und Boden. Einmal hört man das Plätschern von Wellen, als schlüge das Meer von fern an die häuslichen Gestade. Die biegsamen Äste der Bäume draußen wiegen sich im Wind. Allein das grüne Blätterdach scheint Schutz zu bieten. Das Grün tritt immer deutlicher vor die in Stein erstarrten Behausungen, in denen niemand zu Hause ist, während sich der melodische Gesang einer Frauenstimme erhebt.
Allison K. Young hat davon gesprochen, das Licht und die Schönheit, die es enthüllt, seien die wichtigsten Protagonisten in Bhimji's Werk. Vielleicht ist es tatsächlich das natürliche Licht, das lumen naturale, das unser Zentralgestirn ausstrahlt und das alles Irdische belebt, das am Ende alle Schrecken der Geschichte überstrahlt und auslöscht. Wäre Aufklärung in diesem Sinn womöglich ein natürliches Aufklaren, eine sonnige Aufhellung und eine rhythmische Lichtung der Natur, wo der Mensch im Kampf zwischen Herr und Knecht versagt hat? "Unsere Kunst ist ein von der Wahrheit Geblendet-Sein: Das Licht auf dem zurückweichenden Fratzengesicht ist wahr, sonst nichts", hat Franz Kafka notiert.
Die Bilder, die Zarina Bhimji schafft, atmen. Sie atmen Freiheit. Eine Freiheit, die das Leben und die Politik, am Ende also wir alle, anderen und uns selbst viel zu lang schon verweigern. Man nennt das üblicherweise Geschichte. Es ist eine melancholische Freiheit, die schmerzt, weil sie allein in der Erinnerung zu haben ist. Oder in der Kunst.
Zeit, Macht, Schatten, Licht - indem es Zarina Bhimji versteht, eine Geschichte voller Gewalt in Bildern, Metaphern und Symbolen zu verkörpern, in denen mehr und anderes an- und nachklingt als der Schrecken und der Schmerz über das Erlittene, höhlen sie beharrlich die Macht aus. Zart und doch bestimmt. Ganz so, als sei ein leises Echo der Freiheit an die Stelle des erbarmungslosen Befehls getreten. Ganz so, als könne das Erinnern am Ende über die Brutalität des Faktischen triumphieren.
"Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören." So beginnt Rainer Maria Rilkes erste Duineser Elegie.
"Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen..." - für Zarina Bhimji bleibt es nicht dabei. Auch für sie gilt: Ohne das Schöne wäre das Schreckliche nicht zu ertragen. Für sie gilt aber auch, was Heiner Müller 1955 in einem kurzen Text mit dem Titel "Bilder" auf Rilke geantwortet hat: "Denn das Schöne bedeutet das mögliche Ende der Schrecken."
Zarina Bhimji's Arbeiten sind vieles mehr als politische Statements zu Vertreibung, Kolonialismus und Rassismus - was sie durchaus auch sind. Mit kompromissloser Gründlichkeit, politisch wachsam und voller Empathie und Gemeinsinn wirken sie einer pseudo-authentischen Versiegelung der Geschichte entgegen. Sie sind voll von Echos, von persönlichen, von historischen, von politischen, vor allem aber von physischen und natürlichen. Verwoben zu einem filigranen Palimpsest aus Orten, Räumen, Wänden, Farben, Stimmen, Tönen, Klängen, Nachbarschaften, Träumen und Alpträumen entsteht eine verkörperte Geschichte. Allein ein derart reichhaltiger ästhetischer Überschuss der Bilder befreit sie und weist den Weg aus ihrem politischen Exil.
Zarina Bhimji's Werk erscheint heute aktueller denn je. In der Tatsache, dass die Künstlerin in London lebt, schließt sich ironischerweise der fatale Kreislauf kolonialistischer Expansion, der so viele Leben ausgelöscht und beschädigt, so viele über Jahrhunderte gewachsene Kulturen zerstört hat. Aus dem britischen Kolonialreich Indien kehrt das postkolonial geschärfte Bewusstsein über Afrika ins Zentrum des untergegangenen Empire zurück. Die ruhig dahinfließenden Bilder der Filme Zarina Bhimji's offenbaren das Gift, das in den verklärten Landschaften ebenso vergraben liegt wie in den nationalen Geschichtsbüchern.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld - und gratuliere Zarina Bhimji ganz herzlich zum Roswitha-Haftmann-Preis 2024.
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