biographie



Yilmaz Dziewior

Laudatio auf VALIE EXPORT aus Anlass der Verleihung des Roswitha-Haftmann-Preises 2019 am 27. September 2019 im Kunsthaus Zürich.

Liebe VALIE EXPORT, sehr geehrtes Publikum

Es ist mir eine große Ehre und Freude heute die Laudatio auf VALIE EXPORT anlässlich der Verleihung des Roswitha Haftmann-Preises 2019 halten zu dürfen.

Mit der Österreichischen Künstlerin VALIE EXPORT würdigen wir eine international geschätzte Persönlichkeit. Ihre Werke zählen zum festen Bestandteil der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts und sind in vielen bedeutenden Museumsammlungen vertreten.
VALIE EXPORT zählt zu den Wegbereiterinnen des experimentellen Films und Kinos und ist eine der zentralen Protagonistinnen des Feminismus. Darüber hinaus belegen ihre Buch- und Ausstellungsprojekte sowie eine Vielzahl von eigenen Texten, dass sie nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Kuratorin und Theoretikerin bis heute prägenden Einfluss besitzt.
Mit großer Intensität und anhaltender Stringenz hat sie in den letzten fünf Jahrzehnten die Bedingungen und Möglichkeiten der nicht nur technischen Medien, ihr Verhältnis zum vor allem weiblichen Körper und zur Gesellschaft im Allgemeinen hinterfragt. In diesem Zusammenhang sind raumgreifende Installationen, Film- und Fotoarbeiten ebenso entstanden, wie auch Skulpturen oder andere dreidimensionale Objekte.

Doch wie fing alles an? Ihre emanzipatorische Haltung manifestiert sich schon 1967, als sie ihren bürgerlichen Namen Waltraud Lehner ablegte und künftig nur noch unter der stets in Versalien geschrieben Bezeichnung VALIE EXPORT firmierte. Sie eignet sich in dieser Form bewusst eine neue Identität an, die sie dezidiert losgelöst von ihrem patriarchalisch geprägten Familiennamen – sei es dem ihres Vaters oder ihres Ehemannes – wählte. Gleichzeitig gefielt ihr die Vorstellung einen Namen als Logo zu verwenden, der die Verbreitung und Distribution ihrer Anliegen zum Ausdruck bringt.

Vor diesem Hintergrund könnte ein von ihr modifiziertes Readymade, das sich heute in der Sammlung des Museum of Modern Art in New York befindet, als das erste Kunstwerk von VALIE EXPORT angesehen werden. Die Zigarettenpackung der Marke Smart Export diente ihr hierbei als Ausgangspunkt. Sie tauschte den ersten Teil des Markennamens durch ihren realen Vornamen – ihr nahestehende Personen nannten sie nicht Waltraud, sondern Valie – und wechselte die Weltkugel gegen ein fotografisches Selbstporträt. Es gibt Fotoarbeiten, auf denen VALIE EXPORT die Zigarettenpackung mit der Montage direkt in die Kamera hält, sodass die verschiedenen Ebenen von Objekt und Portrait in einen Dialog treten. Das „Made in Austria“ ist dabei ebenso zutreffend wie der Slogan „semper et ubique, immer und überall“ – ein Anspruch den die Künstlerin halb humorvoll halb erst gemeint durchaus für ihre Kunst in Anspruch nimmt.

Schon früh polarisierte VALIE EXPORT die Öffentlichkeit unter Einsatz ihrer eigenen Person, die gewissermaßen mit Haut und Haar ihrem Publikum entgegentrat. Sie sensibilisierte so für institutionsreflektierende und geschlechterspezifische Fragestellungen, die zu Beginn ihrer Karriere in den 1960er Jahren in einem vornehmlich von Männern dominierten Diskurs wenn überhaupt, dann nur unzureichend zur Sprache kamen.

International bekannt wurde sie vor allem durch ihre heute legendären Performances wie TAPP und TASTKINO, für die sie einen Kasten vor ihre entblößte Brust montierte und in Fußgängerzonen die Passanten dazu aufforderte hineinzugreifen um ihren Körper zu berühren. Während in einem herkömmlichen Kino die Frau als Lustobjekt passiv den Blicken ausgeliefert ist, übernahm VALIE EXPORT in ihrer Performance die Kontrolle und bestimmt die genaue Zeitdauer der Aktion. Auf Fotografien und in Videoarbeiten, die anlässlich dieser Aktion entstanden, sieht man die verlegenen Blicke der Männer und das zwischen Erstaunen, Lachen und Entsetzen schwankende Verhalten der Umherstehenden.

Nicht weniger radikal ist ihre Aktion Genitalpanik, die lediglich in Texten überliefert ist. Hier handelte es sich nach den Worten VALIE EXPORTS um eine Expanded Cinema-Aktion:

„Ich bin mit der Aktionshose durch die Stuhlreihen gegangen und habe das Kinolicht an der Leinwand eingeschaltet und gesagt, dass das, was die Zuschauer sonst auf der Leinwand sehen, jetzt real sehen können. Es war Expanded Cinema, das das Austauschen unterschiedlich konnotierter Materialien zum Thema hatte. Mein Anliegen war es, Wirklichkeit in die Wirklichkeit des Kinos zu bringen, in die cinematografische Wirklichkeit des Kinos. Denn im Kino verschwindet häufig die Wirklichkeit. Das Kino, der Film erzählt immer von Wirklichkeiten, ohne die Wirklichkeit zu kennen oder zu zeigen.“

Die Fotos „Aktionshose: Genitalpanik“ sind keine Dokumentation der Performance, sondern entstanden im Anschluss in einem verlassenen Kino. Wir sehen die Künstlerin in ihrer den Schritt entblößenden Jeans breitbeinig auf einem Stuhl bzw. Bank sitzend mit einem Maschinengewehr im Anschlag. Eine weitere Variante zeigt sie stehend, immer mit tourpierten Haar als Löwenmähne.

„Ich wollte durch ein Selbstporträt diesen sexuellen Moment mit einem Maschinengewehr noch einmal verstärken, das ich in verschiedenen Positionen halte, um mir ein Prinzip der Dominanz, ein Machtprinzip anzueignen und die Rollen umzukehren. In der Regel ist dem Mann das Machtprinzip zugeordnet, der es auch verteidigt. Ich habe mir meine Selbstdarstellung vollkommen selbst bestimmt, meine Blicke, meine Haltungen mit dem Maschinengewehr und vor allem auch die frontale Aufnahme durch die Kamera. Frontal, an der Front.“

Die Originalhose befindet sich heute als Teil einer von VALIE EXPORT konzipierten Vitrine in der Sammlung des Mumok in Wien.

Während VALIE EXPORT international schon früh Aufmerksamkeit erhielt ließ ihre Anerkennung in Österreich länger auf sich warten. Erst 2010 hatte sie eine ihrer Bedeutung angemessene große Überblicksausstellung im Belvedere in Wien und dem Lentos Kunstmuseum in ihrer Geburtsstadt Linz. Dort befindet sich auch das VALIE EXPORT Center Linz, dass seit 2015 den Vorlass der Künstlerin bearbeitet und vermittelt.

Ich selbst hatte die Gelegenheit und Ehre 2011 eine Ausstellung mit VALIE EXPORT im Kunsthaus Bregenz zu realisieren. Im Gegensatz zu der genannten Retrospektive konzentriert sich die Präsentation im KUB vor allem auf das Archiv der Künstlerin. Ihre wichtigsten Arbeiten wie TAPP und TASTKINO, Aktionshose: Genitalpanik oder BODY SIGN ACTION wurden nicht ausschließlich losgelöst als autonome Exponate gezeigt, sondern im Zusammenhang mit den für die Entstehung relevanten Referenzmaterialien. So hat VALIE EXPORT beispielsweise für ihre Filme sowohl visuelle Drehbücher verfasst als auch Zeichnungen und Polaroids angefertigt. In dem von Kühn/Malvezzi gemeinsam mit der Künstlerin entwickelten Display vereinten Schaukästen zu den einzelnen Spielfilmen Fotos von den Dreharbeiten, Plakate, Skripte sowie Rezensionen und vermitteln durch diese Vielfalt den komplexen Prozess ihrer Genese und Rezeption. In diesem Sinne wurden viele ihrer Hauptwerke in Bregenz durch die ihnen vorangegangenen, vorbereitenden Konzeptzeichnungen, Statements und Collagen sowie Fotos kontextualisiert.
In 57 großformatigen Vitrinen entfaltete sich dergestalt ein Panorama, das sowohl das eigentliche Werk der Künstlerin facettenreich auffächerte als auch durch Korrespondenz, Zeitungsausschnitte und Texte ein beredtes Zeugnis der experimentellen Kunst der 1970er Jahre darstellte.
Einige ihrer Protagonist*innen wie Günter Brus, Robert Filliou, Birgit und Wilhelm Hein, Arnulf Rainer und Carolee Schneemann lud VALIE EXPORT zum Beispiel 1971 zu einem Buchprojekt mit dem Titel „Acta Occidentia Scientia“ ein. In Bregenz wurde dieses Projekt nicht nur in Form des fertigen Buches präsentiert, sondern auch durch einen umfangreichen Materialordner sowie im Detail mit Briefen von Yvonne Rainer und Michael Snow. Nicht weniger wichtig war die zur selben Zeit von VALIE EXPORT konzipierten Publikation und Ausstellung „MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität“, bei der sich aus heutiger Sicht das „Who is Who“ der feministischen Kunst beteiligte. Hierzu lud VALIE EXPORT auch Maria Lassnig ein, mit der sie gemeinsam Österreich auf der Biennale Venedig 1980 vertrat. Maria Lassnig war übrigens 2002 Roswitha Haftmann Preisträgerin.

Die hier nur bruchstückhaft angedeutete Vernetzung von VALIE EXPORT, ihr Bestreben oft zusammen mit anderen denn als Einzelkämpferin zu agieren und ihr unbedingte Hingabe zur möglichst breiten Vermittlung ihrer Anliegen (nämlich wie auf ihren ersten fotografischen Selbstbildnissen mit Zigarettenpackung zu lesen: „semper et ubique, immer und überall“) kamen auch in ihrer langjährigen Lehrtätigkeit in Wien, San Francisco, der UDK Berlin und zuletzt von 1995 bis 2005 an der Kunsthochschule für Medien in Köln zum Ausdruck.

VALIE EXPORT wurden bereits viele Auszeichnungen verliehen, oft im Andenken an Künstlerinnen und Künstler, so zum Beispiel den Gabriele Münter Preis 1997, den Gustav Klimt Preis 1998 oder den Oskar Kokoschka Preis 2000 und nicht zu vergessen den Yoko Ono Lennon Courage Awards for the Arts, der ihr 2014 im MoMA in New York überreicht wurde.

Es scheint mir aber besonders sinnig, das VALIE EXPORT heute den Roswitha Haftmann Preis erhält, denn ähnlich wie die engagierte Galeristin und Vermittlerin der Kunst Roswitha Haftmann so war und ist es auch VALIE EXPORT stets ein Anliegen die Kunst zu vermitteln, sowohl die Kunst von Gleichgesinnten als auch in sehr emanzipierter Weise die eigene Position und denen mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Fragen.

Im Namen der Jury des Stiftungsrates der Roswitha Haftmann Stiftung gratuliere ich Dir, liebe VALIE EXPORT, vom ganzen Herzen.