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 Bice Curiger
 Laudatio auf Cindy Sherman aus Anlass der Verleihung des Roswitha Haftmann-Preises 2012 am 10. Mai 2012 im Kunsthaus Zürich Meine  sehr verehrten Damen und Herren, Cindy  Sherman gehört zu jenen Künstlerinnen und Künstlern, die gleich zu Beginn Ihrer  künstlerischen Karriere ein klares Fundament für die spätere Entwicklung  gesetzt haben. Heute ist es im Rückblick darauf nicht nur möglich zu sehen,  welch unglaublich reiches Territorium sie sich im Laufe von vier Jahrzehnten  dabei erschlossen hat, sondern auch mit welcher Ausdauer, Konzentration, und  künstlerischer Kohärenz sie dabei vorgegangen ist. Cindy  Sherman sei zu vergleichen mit Andy Warhol, hat man gesagt – in Bezug auf die  breite Popularität und den gleichzeitig lang anhaltenden Appeal für die  intellektuelle Auseinandersetzung. Ihre Kunst steht für so viele Aspekte und  Elemente, welche den Kunstdiskurs der letzten Jahrzehnte massgeblich geprägt  haben.  So  stellt ihr Werk wohl den wichtigsten künstlerischen Beitrag zum Thema der  weiblichen Identitätskonstruktion dar. Damit untrennbar verbunden ist aber auch  das Thema der Wirkmacht der Fotografie und des massenreproduzierten Bildes auf  unser Denken und Handeln ganz allgemein.  Vor wenigen  Monaten ist eine fast 400-seitige Publikation erschienen über das Frühwerk –  also jene Fotos, die Cindy Sherman vor den berühmt gewordenen Filmstills gemacht hat – die unglaublich  spannendes Material ans Tageslicht befördert. Da ist zum Beispiel das «Cindy  Book», das Fotos von ihr enthält über die Zeitspanne von 1964, als die Künstler  10 Jahre alt war, bis 1975, als sie dann 21 war. Auffällig ist die lapidare  Feststellung «Thats me», «Thats me» unter jedem Bild – eine merkwürdige Litanei  der Vergewisserung, «das bin ich», «Thats me»... Und es ist genau der Refrain,  der die Künstlerin dann ein Leben lang bei ihrer Arbeit zu begleiten scheint.  Auch um auch das Gegenteil zu behaupten: «That’s NOT me!» Eine fantastische  Entdeckung ist auch «Air Shutter Release Fashions» von 1975. Es sind 17 s/w-Fotos,  die in grotesker Manier vorgeben, Modeaufnahmen zu sein. Eine nackte Frau ist  immer wieder auf eine andere Art umwickelt von einem schwarzen Kabel, so dass  angedeutete Zeichnungen entstehen, von einem gestreiften Minijupe etwa, oder  Kniesocken etc. Wer genau hinschaut kann dabei erkennen, dass es sich beim Air Shutter Release um die Schnur für  die Bedienung des Selbstauslösers einer Kamera handelt. Ein Instrument, das im  Arbeitsprozess der Cindy Sherman eine ganz zentrale Bedeutung hat – noch heute.  Denn es ist ein essenzieller Aspekt, dass die Fotos in absoluter  Abgeschiedenheit ohne Assistenz entstehen – Cindy Sherman fotografiert sich  immer selber: mit Selbstauslöser.  Indem  die Künstlerin die Fotografie auf sich selber richtet, reflektiert sich auch  das Medium selber wie in einem Spiegel – es reflektiert zurück, was dieses in  der Künstlerin, der Frau, die viele Rollen ausprobiert, in ihr abgelagert hat  an vielfältigen Konditionierungen. Schon die ganz frühen Arbeiten, die Sherman  in der Kunstakademie in den 70ern macht, – wo auch bereits ein paar wenige  junge Frauen unterrichtet haben, die sich mit Feminismus und Konzeptkunst  auseinandergesetzt hatten –, sind von einem eigenwilligen, spielerischen, aber  auch staunend reflektierenden Impetus getragen, der sich nie in einer  narzisstischen Selbstbespiegelung erschöpft. Aber auch weit entfernt ist von  einer eindimensionalen Illustration von zeittypischen Theoriemodellen. Cindy  Sherman gehört gleich zu Beginn mit andern Frauen zu jener Generation, welche  für einen weiblichen Aufbruch in der Kunst stehen. Sicher weist die Kunst des  20. Jh. einige grosse Frauenfiguren auf, aber es ist eine bekannte Tatsache,  dass erst ab Anfang 80er Jahre die Frauen in verstärkter Anzahl ihre Stimme nun  unüberhörbar in die Kunst eingeführt haben. Vielleicht  darf ich hier erwähnen, dass ich das erste Mal Arbeiten von Cindy Sherman an  der 7. Documenta, jener von 1982, gesehen habe. Es war eine Documenta der  Generationen-Wasserscheide, wenn man so will – auf der einen Seite die Heroen  (männlichen Heroen) der Pop-, Minimal- und Konzept-Kunst, sowie Joseph Beuys  und die Maler von Baselitz bis Kiefer, und dann auf der andern Seite die  reingeplatzte Jugend, so schien es, mit den jungen wilden Malern wie Dokupil  und Dahn und eben den Frauen! Und  die Frauen, die mieden die Malerei, die gerade Urständ feierte – wie der Teufel  das Weihwasser... Mit Cindy Sherman stellten auch Jenny Holzer und Barbara  Kruger ihre Werke zum ersten Mal einem breiteren europäischen Publikum vor.  Cindy  Sherman zeigte ihre Centerfolds, ich erinnere mich noch ganz genau. Dass jemand  Farbfotografie im Grossformat präsentierte, war mutig, denn diese galt als  nichts Besonderes, eher als ein Amateurformat oder dann eben etwas fürs  Hochglanzmagazin. Wenn Fotografie, dann sollte sie so sein wie die Konzeptkunst  es postulierte und eher beiläufig in Erscheinung treten als Hilfswerkzeug oder  Dokumentationsmedium eines Denkprozesses.  Für  uns Schweizer jedoch ist wichtig zu erwähnen, dass hier Urs Lüthi in den 70er  Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet hat, die Fotografie (vorwiegend in  s/w, aber auch in Farbe) für die Selbstbefragung, das komödiantische  Rollenspiel und die Erforschung von Glamour und Aura einzusetzen.  Was  uns Cindy Sherman seither aber im Wandel über die Jahrzehnte präsentiert hat,  ist atemberaubend. Bereits 1985 schrieb Marianne Stockebrand über Shermans Fotos:  «Bis heute hat sie (...) schon so viele verschiedene Rollen übernommen und  Charaktere dargestellt, dass sich Beobachter bereits voll Anerkennung und Verwunderung  gefragt haben, wie lange sie noch Einfälle habe»... Doch Cindy Shermans Kunst  lässt sich eben nicht auf Rollenspiele im engeren Sinn reduzieren. Die «Film  Stills» und die «Centerfolds» enthalten differenzierte Inszenierungen von  Stimmungen, von Intimität im Cinérama- oder Playboy-Format. Während die  Centerfolds für eine subtile sogenannt «seelenvolle» Entgegnung auf die  entseelten Animierposen im Playboy stehen können, präsentieren sie sich auch  wie Gemälde, wie eine heutige Form von «Genre- oder Sitten-Bild» sozusagen,  indem sie eine Typologie von Verhalten von emotionalem Aufgewühltsein  vorführen.  In  einem Gespräch mit John Waters, das im Katalog der jetzt laufenden  MoMA-Ausstellung abgedruckt ist, fragt Waters die Künstlerin, ob sie auch schon  verzichtet habe, ein Bild nicht zu verwenden, weil sie darauf zu hässlich  aussähe – worauf Sherman antwortet, dass sie eher solche Bilder aussondert, in  welchen sie zu stark wie sie selber aussieht. Und: «I like experimenting with being as ugly as I can  possibly be. But I guess that’s because I don’t think of it as me.» (Ich  liebe es zu experimentieren, und mich so hässlich wie nur möglich zu machen.  Aber vermutlich weil ich darin nicht mich selber sehe.) Dies ist der Moment, um  auf die 1995 im Kunstmuseum Luzern präsentierte Ausstellung von Cindy Sherman  zu verweisen und auf dessen Katalog, in welchem Elisabeth Bronfen einen  hellsichtigen Essay beisteuerte mit dem Titel «Das andere Selbst der  Einbildungskraft: Cindy Shermans hysterische Performanz».  Diese  Retrospektive versammelte dabei auch die damals neueren Werkgruppen, welche die  Lektüre von Märchen zum Ausgangspunkt hatten, in welchen Cindy Sherman mit der  Erforschung des Grotesken und Burlesken beginnt. Diese  Bilder wiederum münden in das gross angelegte Projekt der Ekel- und Sexbilder,  welche die unerbittlichen Grenzüberschreitungen noch weiter treiben. Schimmel,  Kot, Erbrochenes – die Körperlichkeit ist angesprochen, ohne dass die  Protagonistin besonders sichtbar anwesend wäre. Natürlich ist sie es doch –  zumindest in ihrer Autorschaft als Künstlerin. Ebenso  verhält es sich mit den Bildern, in welchen Prothesen und Masken die  Anwesenheit ersetzen oder verhüllen. Es sind medizinische Prothesen, die für  den Unterricht von angehenden Ärzten und Pflegepersonal benutzt werden. Sherman  arrangiert und schminkt die Elemente und lässt in dieser Serie, die inoffiziell  «Disaster Series» heisst, von «Disasters of Sex» nach Goyas «Desastres de la  Guerra». Schrecken, Horror, Abscheu, aber auch Angstlust und ästhetischer  Genuss in pervertierter Anwandlung aufleben. In diesen Bildern distanziert sich  die Künstlerin ganz direkt von ihrer Person, um sich einmal mehr auf die  Oberfläche zu konzentrieren, das Sichtbare, um darin die komplexen kulturellen,  mentalen Konnotationen anzusprechen. Man hat von Shermans Werken immer gesagt,  sie seien Auseinandersetzungen mit «stereotypen Frauenrollen». Und nun der  Schimmel – natürlich erkennt man sofort, dass es die verschimmelten  Nahrungsmittel im Kühlschrank einer verwahrlosten Hausfrau sind, oder beim  Erbrochenen das Erbrochene der Heerscharen von Bulimie-Betroffenen, beim  entblösst da liegenden Hinterteil den sexuellen Missbrauch. Wenn Cindy Sherman  diese schweren, immer noch tabuisierte Themen aufgreift, dann wirken sie verstörend,  weil zugleich auch eine Lust an der Darstellung spürbar ist, am Ausmalen in  grösster schonungsloser Direktheit, eine Präsentation, die an den englischen  Ausdruck «in your face» denken lässt. Cindy Shermans Kunst ist im hohen Masse visuell,  gerade auch dann, wenn sie diese auf die Tabus einer hochgradig visuellen  Kultur ausrichtet. Natürlich redet man heute über die besagten Themen, aber so  genau will man und muss man es ja in unserer spezialisierten Welt nicht wissen  und überlässt die Auseinandersetzung und die Nahsicht darauf gerne diesen  Spezialisten. Cindy  Shermans Kunst kreist um die Mechanismen der Konditionierung, aber auch der  Verdrängung. Befragt werden die kollektiven Angst- und die kollektiven  Wunschvorstellungen. Die Subjektivität, ihre – Cindy Shermans Subjektivität –  dient dabei als Pool dessen, was uns alle, was die Kollektivität betrifft. Der  Spiegel ist das Medium der Selbstreflexion par  excellence. Der Blick in den Spiegel schafft Distanz zu sich selber, aber  dient auch dem vertieften Zugriff, der Überprüfung des Selbst. Damit aus der  Subjektivität ein für das Kollektiv relevanter, visuell formulierter Vorschlag  entstehen kann, findet ein langwieriger Arbeitsprozess statt. Es ist ein  Prozess einer gültigen Objektivierung.  Eine  Objektivierung, die aufgenommen und sprachlich weitergeführt wird durch die  kritische Auseinandersetzung mit ihrem Werk – bis heute haben die herausragendsten  Autoren unserer Zeit, wie Craig Owens, Arthur Danto, Rosalind Krauss, Norman  Bryson und die erwähnte Elisabeth Bronfen, unter anderen die Werkentwicklung  von Cindy Sherman mit brillanten weitreichenden kunst- und kulturkritischen  Beiträgen begleitet. Ich  habe bereits eingangs auf die Bedeutung des Selbstauslösers für den speziellen  Arbeitsprozess, der allein im stillen Kämmerchen stattfindet, verwiesen. Wenn  Cindy Sherman ihre Arbeit beginnt, gibt es keine festgefügte Vorstellung vom  Resultat, man hat es schon als «Aufführung ohne Drehbuch» bezeichnet, oder mit  der Arbeit der Maler verglichen, die aus dem Prozess heraus ihre  formal-inhaltlichen Entscheide abwägen und entwickeln. Interessant ist dabei,  dass seit vierzig Jahren eigentlich nur das Eine im Mittelpunkt steht: Die  Person der Künstlerin, die Kamera mit Selbstauslöser und die Props, oder Accessoires,  Schminke, Requisiten, Masken, Prothesen. Ich  möchte hier als kleiner Tipp etwas erwähnen. In unserer Kunsthaus-Bibliothek  werden ja nicht nur Bücher sondern auch Videos aufbewahrt. Und dort befindet  sich seit einigen Jahren ein Film, den der frühere Ehegatte von Cindy Sherman,  Michel Auder, gedreht hat, und in welchem man die unglaublich  arbeitsaufwendigen Prozesse der Entstehung dieser Bilder studieren kann. Technische  Entwicklungen haben zum Teil eine leichte Vereinfachung und neue Möglichkeiten gebracht,  etwa die Entwicklung zum farbigen Polaroidbild und von da hin zur  Digitalkamera. Zugleich Fotografin und Fotografierte zu sein, erfordert  verschiedenartigste Kontrolldispositive und zum Teil sehr umständliche  Rollenwechsel, wo die Künstlerin aus einem Setting oder einer Verkleidung  mehrmals raus- und wieder reinschlüpfen muss. Wenn  nun in neuster Zeit Cindy Sherman in ihren Bildnissen immer grösser und grösser  erscheint – hier etwa auf dem Plakat ihrer Retrospektive im MoMA in NY, und  hier auf der Tapete am Eingang zur Ausstellung – die Kunst der Cindy Sherman  beruht auf einer unendlichen Präzision und Aufmerksamkeit fürs Detail. Es ist  die Mikrostruktur die’s ausmacht, die ganz feinen Details. Ja, tatsächlich:  nicht der Teufel, sondern «der liebe Gott sitzt im Detail», wie es Aby Warburg,  der Kunsthistoriker mit dem besonderen, übergeordneten Blick für die Kultur,  die Kulturen und die mentale Verfasstheit der Menschen in verschiedenen  Epochen, ausgedrückt hat. Das  bringt mich zum Barock – einerseits hat Cindy Sherman ja eine ganz wichtige  Werkgruppe den historischen Portraits gewidmet, in welchen sie in die  Geschichte eintaucht, die Bildvorgaben weit herholt als einen Steinbruch von  Repräsentation und damit ihr Spiel verbindet von Dekonstruktion und Simulation.  Wie bei den Clowns, wo die Schminke alle charakteristischen Züge einer in  unserer Alltagsegenwart verankerten Person wegfegt, bevor darauf wieder ein  stilisiertes Bild mit erkennbaren physiognomischen Gesichtszügen aufgebaut wird  – so überlagern sich in einem komplexen Wechselspiel Vergangenheit und  Gegenwärtiges. (Hier ein Bild, das im Kunsthaus Zürich in der Ausstellung «Zeichen  und Wunder», 1995, mit einigen weiteren Arbeiten zu sehen war). Zum  Thema Barock jedoch möchte ich natürlich die kommende Ausstellung hier im  Kunsthaus Zürich, «Deftig Barock», nicht unerwähnt lassen, in welcher auch  Werke von Cindy Sherman präsentiert werden (und die am 31. Mai eröffnet). Gezeigt  werden Beispiele einer neueren Werkgruppe, der sog. «Society Ladies» in  unmittelbarer Nähe von Vanitasdarstellungen, aber vor allem auch von Porträts  des Malers Hyacinthe Rigaud. Rigaud war der Maler des Sonnenkönigs, von Ludwig  XIV. Dieser steht für eine Epoche mit einem starken Drang zur Selbstdarstellung  und prachtvollen Repräsentationsentfaltung, dem Hang zu Exzessen in der Feier  des Sichtbaren und der Oberflächenbetonung. Hier sehen wir Hyacinthe Rigauds  Bildnis von Louis XIV – es ist bekannt, dass jedes Detail etwas ganz bestimmtes  bedeutet. Die königlichen Gegenstände, die Farben und Kleider, die Pose des  Königs, die Haltung der Beine und natürlich die Schuhe mit den roten Absätzen,  der Schnalle und dem roten Band, die anlässlich der Krönungszeremonie vom  Obersten Kammerherrn Frankreichs überreicht worden waren und voller  zusätzlicher Konnotationen waren. Dieses Versessensein auf Details, mit den  aufgeladenen Bedeutungen, dem Kult der Oberfläche passt gut zu den Society  Porträts von Cindy Sherman in Deftig Barock und es ist leicht einsehbar, wie  stark auch heute noch ein vom Adel geprägtes Verhalten die Vorstellungen von «Aussehenwollen»  und Repräsentation prägen. Es  bereitet grosses Vergnügen, sich ins Studium der Details in diesen Bildern,  dieser alternden Gesellschaftsdamen zu versetzen, die schutzlose Seite zu entdecken,  das Ausgeliefertsein, die Offenbarung eines anrührenden Willens zu gefallen, es  scheint als würde die ganze Energie dabei in die Pflege der Oberfläche  investiert. Obwohl hier Demontage und auch Lächerlichkeit ins Spiel gebracht  sind, haben diese Porträts letztlich doch auch etwas Menschenfreundliches an  sich und sind nicht zynisch.  In  neuster Zeit verwendet Cindy Sherman nun den Computer, das Photoshop-Programm,  um Eingriffe ins Bild, und damit auch in ihr Gesicht zu machen – sie verändert  den Augenabstand, vergrössert bzw. verkleinert den Mund, die Nase usw. Und  sie präsentiert die Bildnisse nun auch als oder in Tapeten integriert. Die  Frauen dort sind aus einer Fantasiewelt gestiegen, hat man den Eindruck, obwohl  ihre Kleidung trotz der betonten Eigentümlichkeit von ganz alltäglicher, etwas  spiessiger Sorte ist. Das Schwarz/Weiss des überdimensionierten Tapetenmusters  betont irgendwie eine Verbindung zur Welt der Bücher und der Fiktionen. Die  Frauen haben etwas Blaustrümpfiges, zwischen verspielt und hilflos, und  scheinen ganz bei sich in ihrer Wunschwelt versunken. Mit diesen Szenarien des  kleinbürgerlichen Traumpotenzials, und den Societyporträts ist es Cindy Sherman  wiederum gelungen, ein weiteres, ein neues Universum zu erschliessen – es scheint,  dass die gereifte Künstlerin ihre Lebenserfahrung als Frau vermehrt mit einem  geschärften psychosozialen Scharfblick als neue kreative Quelle in ihre  Selbstbespiegelungen einzubringen vermag.  Dass  dies zugleich im bewussten Aufgehen in einem digitalen Morphing der eigenen  Person geschieht, die dann in Landschaften gesetzt sind, die ebenfalls mit dem  Computer bearbeitet sind, weist auf eine weitere Stufe der Auflösung. Ein  Auflösen, das auch schon ganz am Anfang der Karriere stand, als sie ihre Künstlerrolle  in Kontrast zu den festgefügten heroischen männlichen Figuren setzte, als eine  ihre Identität in allen Facetten in Frage Stellende. Und nun schreiten wir mit  ihr sozusagen in die Zukunft, in eine durch die Digitalisierung sich radikal  verändernden Welt. Wir freuen uns sehr auf die kommenden Werke dieser  bedeutenden Künstlerin unserer Zeit!  |