Auszug aus der Laudatio auf Jeff Wall von Dr. Katharina Schmidt anlässlich der Verleihung des Roswitha Haftmann Preises am 6. November 2003 im Kunsthaus Zürich

[...] Allen Arbeiten von Jeff Wall liegt ein entschiedenes, an marxistischem Denken geschultes soziales Engagement zugrunde. Entsprechend gehören seine Protagonisten zu den Randgruppen der Gesellschaft: Sie sind Vertreter von Minderheiten, Angehörige verschiedener ethnischer Gruppen und Altersklassen, Heimat- und Obdachlose, Frauen, die alleine ihren Mann stehen, Männer, die der Tag auspowert, Menschen die gewalttätig werden, Menschen die man gewaltsam abführt und solche, die der Zerreissprobe ihres Daseins nicht gewachsen sind: schlaflos wälzen sie sich nachts auf dem Küchenboden, brüllen unversehens los, schütten auf der Strasse ihre Milch in die Luft, oder versinken schizophren in sanftes Grinsen. Dann wieder hasten sie davon und sind erleichtert, dass ein "Stolperstein" sie plötzlich innehalten lässt in Raum und Zeit.

So sehen wir diese Menschen in ihrem Alltag und dem einfachen Milieu, in dem sie ihn verbringen. Alleine verrichten sie oft vor- und nach Tage Ihre Arbeit; aber trotz ihrer äusseren und inneren Zwänge wirken sie nicht wirklich gebrochen; denn ihr Aggressionspotential ist auch Ausdruck einer Kraft, in die Jeff Wall letztlich seine Hoffnung setzt.
In vielen Bildern arbeitet er mit einer dramatischen Erzählstruktur, bei der sich der Hintersinn nur schrittweise über ein Fülle wirklichkeitsnaher und symbolischer Elemente enthüllt. Immer liegt Spannung in der kühlen, stimmungsarmen Luft. - Erst im Laufe der Jahre und mit wachsendem Oeuvre entfaltete sich das Bild einer Gesellschaftsklasse, die Jeff Wall mit Walter Benjamin die "Ruinen der Bourgoisie" nennt, zeigt er eine von Unfreiheit bestimmte Welt. [...]